Medizin: Wissenschaft und/oder Heilkunde?

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Hirnforschung & Theologie
WIRKLICHKEIT

In SPIEGEL Online wird über einen neuerlichen Streit über die Homöopathie berichtet (hier). Wissenschaftlich scheint klar zu sein, dass homöopathische Behandlungen die Wirkungen von Placebos nicht übertreffen, also kein zusätzlicher pharmakologisch spezifischer Effekt nachweisbar ist. Wenn man diesem Befund einmal glaubt, erübrigen sich alle aufwendigen (hanebüchenen) Theorien zur Erklärung der angeblichen spezifischen homöopathischen Heilwirkungen (z.B. Gedächtnis von Wassermolekülen etc.). Aber hat sich das Thema damit für die Medizin erübrigt? Ist Medizin Wissenschaft oder Heilkunde – und macht ein solches Entweder-oder überhaupt Sinn??

Placebo-Effekte werden wohl bei fast allen Pharmastudien berichtet und nehmen mit der Invasivität des Verfahrens zu (kleine weiße Pille, große gelbe Pille, Saft, Injektion, Operation). Im Bereich der Epileptologie werden z.B. über einen üblichen Beobachtungszeitraum von 3 Monaten regelmäßig 10-15% Patienten im Placebo-Arm von Pharmastudien komplett anfallsfrei; die Effekte wirksamer antiepileptischer Medikamente liegen signifikant darüber, z.B. bei 20-25%. Auch Nebenwirkungen treten im Placebo-Arm auf.

Für Antidepressiva hat Irving Kirsch 2008 sämtliche der FDA vorgelegten Studien (auch später nicht in Fachjournalen publizierte) zusammenfassend untersucht (hier) und festgestellt, dass 1. Antidepressiva insgesamt eine geringe bis moderate Wirkung haben, 2. dass eine über Placebo hinaus gehende spezifische Wirkung bei geringgradigen Depressionen insgesamt nicht nachweisbar war, und 3. dass die nachweisbare Wirkung bei schwergradigen Depressionen auf geringere Placebo-Effekte in dieser Patientenpopulation, nicht aber auf eine gesteigerte Wirkung der Medikamente zurückzuführen war (Abbildung hier). – Natürlich ist dies ein ultraheißes Thema, da man die Depressionsbehandlung als Suizidprophylaxe versteht und durch eine Infragestellung der Wirksamkeit antidepressiver pharmakologischer Therapien eine Suizidwelle auf uns zurollen sieht. Allerdings wird erst umgekehrt ein Schuh daraus: Die in den USA trotz flächendeckender Versorgung mit Antidepressiva seit Jahren völlig konstanten Suizidraten (sogar steigend bei Männern zwischen 15 und 44 Jahren) sprechen gegen eine bedeutsame antisuizidale (bzw. antidepressive) Wirkung dieser Mittelchen (Abbildung hier).

Der entscheidende Punkt für mich nun ist aber, dass ein Placebo-Effekt ja keinesfalls kein Effekt ist. Er ist ein wissenschaftlich nachweisbarer Effekt! Patientengruppen im Placebo-Arm einer Studie weisen tatsächlich im Durchschnitt signifikante Verbesserungen ihres entsprechenden Gesundheitsstatus gegenüber der Baseline auf; es geht ihnen objektiv besser! Lediglich eine klassisch-pharmakologische Wirkung liegt dieser Verbesserung nicht zugrunde. (Selbstverständlich beruhen auch Placebo-Effekte letztlich auf physiologischen Prozessen.)

In Deutschland ist die Verabreichung von Placebos ohne das Wissen der Patienten nicht erlaubt; tatsächlich würde dies wohl das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient nachhaltig gefährden. Homöopathie und all die anderen Placebo-Effekt induzierenden, nicht klassisch-pharmakologischen Verfahren der sogenannten Komplementärmedizin sind die einzige Möglichkeit einer von Patienten akzeptierten Placebo-Medizin (aus naturwissenschaftlicher Sicht).

Die Frage wäre also, wieder aus naturwissenschaftlicher Perspektive formuliert, ob die Medizin eigene, ethisch akzeptable Wege zur Nutzung des Placebo-Effekts findet bzw. die bereits etablierten heilkundlichen Wege akzeptieren kann und darf. Wenn diese Verfahren nicht als Alternative, sondern eben komplementär zum Einsatz kommen und – wie zu erwarten – in einer nicht zu unter- aber auch nicht zu überschätzenden Zahl von Patienten Erfolge haben — warum dann eigentlich nicht? (Über die Nebenwirkungen der Placebos wäre allerdings noch einmal gesondert zu sprechen.)

Ist die Medizin dem naturwissenschaftlichen Paradigma so weit verpflichtet, dass sie aus intellektueller Redlichkeit auf die zu erreichenden moderaten Heilwirkungen nicht spezifisch wirksamer komplementärer "Heilmethoden" verzichten darf, diese gar aktiv bekämpfen und keinesfalls an den Universitäten in der Ausbildung dulden sollte?

Was meinen Sie??

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Veröffentlicht von

Geboren 1967 in Emsdetten/Westfalen. Diplom kath. Theologie 1993, Psychologie 1997, beides an der Universität in Bonn. Nach einem Jahr am Leipziger Max-Planck-Institut für neuropsychologische Forschung (1997-98) bin ich seit Oktober 1998 klinischer Neuropsychologe an der Universitätsklinik für Epileptologie in Bonn. Ich wurde an der Universität Bielefeld promoviert (2004) und habe mich 2015 an der Medizinischen Fakultät der Universität Bonn habilitiert (Venia legendi für das Fach Neuropsychologie). Klinisch bin ich seit vielen Jahren für den kinderneuropsychologischen Bereich unserer Klinik zuständig; mit erwachsenen Patientinnen und Patienten, die von einer schwerbehandelbaren Epilepsie oder von psychogenen nichtepileptischen Anfällen betroffen sind, führe ich häufig Gespräche zur Krankheitsbewältigung. Meine Schwerpunkte in Forschung und Lehre liegen in den Bereichen klinische Neuropsychologie (z.B. postoperativer kognitiver Outcome nach Epilepsiechirurgie im Kindesalter) und Verhaltensmedizin (z.B. Depression bei Epilepsie, Anfallsdokumentation). Ich habe mich immer wieder intensiv mit den philosophischen und theologischen Implikationen der modernen Hirnforschung beschäftigt (vgl. mein früheres Blog WIRKLICHKEIT Theologie & Hirnforschung), eine Thematik, die auch heute noch stark in meine Lehrveranstaltungen sowie meine öffentliche Vortragstätigkeit einfließt.

25 Kommentare

  1. Homöopathie

    Es gibt wissenschaftliche Studien, und es gibt persönliche Erfahrungen: Wenn Homöopathie aus Sicht des Autors (nur) eine Placebo-Wirkung erzeugt, wie erklärt er dann, dass bei einem zweijährigen Kind eine Therapie mit homöopathischen Medikamenten anschlägt? Meine auf Erfahrung beruhende Schlussfolgerung ist: Homöopathie kann hilfreich sein, und sie sollte deshalb weiterhin praktiziert werden können. Auch wenn es die Pharmaindustrie ärgert…

  2. Eins ist meines Erachtens klar:

    Unter gar keinen Umständen sollte man aus Freude über den Placebo-Effekt angehenden Medizinern in der Ausbildung irgendwelchen esoterischen Blödsinn erzählen. Damit ist niemandem gedient. Wenn Ärzte solche Tricks einsetzen um Placebo-Effekte therapeutisch zu nutzen, muss ihnen sehr klar sein, was sie da tun.

    Die Fragen im Beitrag könnte man legitimerweise aufwerfen, wenn Homöopathen seriös im Interesse der Patienten arbeiten und die Grenzen ihrer Methode kennen würden. Aber das ist ja nicht der Fall, es sind Scharlatane, die ohne Rücksicht auf ihre Patienten einen tausendfach widerlegten Aberglauben ausleben.

    Das zu unterbinden ist keine Frage des naturwissenschaftlichen Paradigmas, sondern ärztliche Pflicht

  3. Heilkunst

    Letztlich heilt sich ein Organismus immer nur selbst. Die Kunst des Arztes besteht darin, die richtige Hilfestellung zu leisten. Viel mehr ist es eigentlich nicht.

    Was die insgesamt geringe bis moderate Wirkung der Antidepressiva angeht: Wenn solch ein Präparat in einem Fall gut und in einem anderen Fall schlecht wirkt, dann ist im Mittel die Wirksamkeit halt moderat.

  4. Nene…

    Letztlich heilt sich ein Organismus immer nur selbst.

    Als stolzer Besitzer eines akuten Nierenversagens kann ich aus eigener Erfahrung feststellen: Nein, tut er nicht.

    Und wenn ich damit an nen Homöopathen geraten wäre, dann wär ich jetzt mausetot.

  5. @all: which one?

    Mich würde interessieren, ob es getrennte Untersuchungen von homöopathischen Therapien gibt in Fällen von “gewöhnlichen” Krankheiten, wie z.B. akutem Nierenversagen und Funktionsstörungen, wo ein Organ nicht effizient arbeitet oder zusätzlichen “molekularen Abfall” produziert.

    Denn das Homöopatika bei einem Knochenbruch nicht helfen, wundert auch niemanden.

  6. A.S.

    Man muss Lars Fischer hier voll und ganz zustimmen: Um den Plazeboeffekt homöopathischer „Medikamente“ zu nutzen, ist eine „Ausbildung“ in Homöopathie nicht nur überflüssig (denn für den Plazeboeffekt spielen die Phantastereien der Homöopathen keine Rolle), sie wäre sogar gefährlich (denn, wie Lars sagt, muss der Arzt für einen verantwortungsvollen Einsatz von Plazebos WISSEN, dass es sich um Plazebos handelt).

    Bei der Frage, ob Ärzte überhaupt homöopathische „Medikamente“ als Plazebo einsetzen sollten, bin ich etwas gespalten.

    Auf der einen Seite kenne ich Ärzte, die das bewusst tun, genau mit dem Argument, dass die Gabe von ehrlich als Plazebo ausgewiesenen Mitteln nicht erlaubt ist, die von homöopathischen „Medikamenten“ hingegen schon. Dies könnte man möglicherweise ändern, indem man das Verbot von Plazebos aufhebt, allerdings könnte dies dazu führen, dass Patienten wissen wollen, ob sie einen Plazebo bekommen, und dass dieser, wenn der Arzt es bejaht, seine Wirkung einbüßt. Mit anderen Worten: Der Glaube an die Wirksamkeit spielt vermutlich eine Rolle.

    (Allerdings sind diejenigen von uns, denen die Wirkungslosigkeit homöopathischer Medikamente bekannt ist, ja schon heute in der Situation, in der dann alle wären — sie bekommen entweder ein echtes, wirksames Medikament, oder eben gar keins).

    Auf der anderen Seite gewöhnen Ärzte ihre Patienten durch die Gabe von Plazebos daran, dass jedes nebensächliche oder gar eingebildete Wewehchen medikamentös behandelt werden muss. Und im Falle von schweren, aber nicht behandelbaren Erkrankungen gaukeln sie ihnen falsche Hoffnungen vor. Beides halte ich nicht für wünschenswert.

    Besser wäre es hier, den Patienten Verhaltensstrategien an die Hand zu geben, mit denen sie nebensächliche/eingebildete Erkrankungen ohne Plazebos überstehen können und mit denen sie nicht-behandelbare Erkrankungen akzeptieren und mit ihnen umgehen lernen können.

    Und wenn es die „Selbstheilungskräfte“ des Körpers wirklich gibt (und für viele Erkrankungen gibt es sie ja in Form unseres Immunsystems), und wenn sich diese tatsächlich durch die mentale Einstellung beeinflussen lassen (was ich nicht weiß), dann muss man Wege finden, dies direkt und ohne die Gabe von Plazebos zu erreichen. Dabei hilft homöopathische Scharlatanerie aber ganz sicher nicht — hier wäre die wissenschaftliche Psychologie gefragt.

  7. Im Prinzip ja zu A.S.

    Ich möchte A.S. fast voll und ganz zustimmen. Ein subversiver Gedanke pocht mir allerdings noch im Hinterkopf. Was ist, wenn es sich in der von ihm (und mir) favorisierten wissenschaftlichen Psychologie herausstellt, daß die psychologische Beeinflussung durch Homöopathie mit keinem anderen Verfahren erreicht werden kann. Und zwar dann, wenn die Anwender fälschlicherweise Homöopathie für eine über den Placeboeffekt heraus wirksame Therapie halten.

    Die Phantastereien der Homöopathieausbildung (oder jedes anderen naturheilkundlichen Verfahrens) spielen für den Placeboeffekt eben doch eine Rolle. Jeder mehr der Therapeut von seiner Sache überzeugt ist, desto stärker ist sein Placeboeffekt. Ich wage die These, daß der hauptsächliche – wenn nicht sogar der einzige – Effekt von Ausbildungen in Naturheilverfahren genau darin besteht: die Überzeugung des Therapeuten von der Wirksamkeit seiner Anwendungen zu stärken. Dazu dienen alle bizarren Details, die Vermittlung des Freund-Feind-Schemas mit der bösen Pharmaindustrie etc.

    Mein Gedanke nun: was ist, wenn es dafür keinen vollwertigen Ersatz gibt? Es würde meinem persönlichen rationalen Temperament diametral widersprechen. Aber es widerspricht ihm auch, diese Möglichkeit ohne jede empirische Überprüfung auszuschließen.

  8. @Jürgen Bolt

    Die Phantastereien der Homöopathieausbildung (oder jedes anderen naturheilkundlichen Verfahrens) spielen für den Placeboeffekt eben doch eine Rolle. Jeder mehr der Therapeut von seiner Sache überzeugt ist, desto stärker ist sein Placeboeffekt.

    Wenn das stimmen würde, würde die Homöopathie ja besser wirken als andere Plazebos. Das ist aber eben nicht der Fall.

  9. @A.S.

    “Wenn das stimmen würde, würde die Homöopathie ja besser wirken als andere Plazebos. Das ist aber eben nicht der Fall.”

    Ist das so? In einem bin ich mir sicher: es gibt den Placeboeffekt in Abstufungen. Und Homöopathie hat bestimmt einen ausgeprägten Placeboeffekt: der Homöopath läßt sich Zeit, er fragt Sachen, die sonst niemand gefragt hat, er geht ‘ganzheitlich’ vor, er behandelt (angeblich) die Ursache nicht die Symptome etc.

    Ich kenne keine Studie, die z.B. bei Schlafstörungen ohne feststellbare organische Ursache die Placeboeffekte verschiedener Methoden verglichen hat. Einmal der Homöopath, der vorgeht wie oben angedeutet und verblindet einmal Placebo einmal Verum verordnet. Zum anderen der ‘Schulmediziner’ (übrigens m.E. ein pejorativer Ausdruck, den ich nicht ernsthaft verwende). Und der wissenschaftlich diagnostziert und ebenfalls einmal Placebo und einmal Verum verschreibt.

    Es würde mich wundern, wenn in beiden Placebogruppen dieselbe Effektstärke gemessen würde. Ist soetwas schon mal gemacht worden?

    Ich habe ein bißchen Zweifel, daß man insbesondere die elitäre Komponente des homöopathischen Placeboeffekts ohne Nachteile weglassen kann. Man geht zu ‘seinem’ Homöopathen, nicht zum Arzt wie Menschen, die weniger ‘bewußt leben’, und der macht etwas besonderes, was die Ärzte ignorieren, die Pharmaindustrie bekämpft etc. Ich vermute, daß Homöpathie ein gewisses Statusverhalten seiner Klientel recht erfolgreich befriedigt, und daß dieser Effekt sich positiv aus die Gesundheit auswirken kann.

    Aber vielleicht gibt es bereits Evidenz zu dieser Frage, und ich kann meinen Restzweifel, daß Homöopathie vielleicht doch irgendeinen Nutzen hat, aufgeben.

  10. Homöopathie

    Ich muss mit dem Herrn Bolt da vollkommen recht geben. Das fängt wirklich schon an in der allg. Naturheilkunde, das man hier wesentlich ausführlicher die Anamese gestaltet. In der 0815 Medizin, nimmt sich doch heut zu Tage die wenigsten Ärzte noch Zeit.

  11. @Lars Fischer: Dochdoch…

    Wenn Sie trotz akutem Nierenversagen noch funktionstüchtige Nieren haben, Herr Fischer, dann verdanken Sie das (A) deren Selbstheilungspotential und (B) der ärztlichen Kunst.

  12. @@@Danke!+@

    @Lars Fischer:
    Bitter, das von einem geschätzten Diskussionspartner zu erfahren. Take care!

    @Balanus:
    Ich hatte versäumt, mich bei Ihnen für die wie immer angenehme und anregende Diskussion über queerversitity zu bedanken (sie ging, glaube ich, wieder einmal mit ziemlicher Euinigkeit aus, oder?). Das hole ich hiermit nach: Danke!

    @Jürgen
    Danke für die Zustimmung, aber ich fürchte, Sie haben mich mißverstanden. Ich halte von Alternativmedizin, obwohl oder weil ich selber Heilpraktiker bin, mehr oder weniger gar nichts. Selbst wenn meine Vermutung zuträfe, daß die elitäre Komponente von Naturheilverfahren bei der Konstitution eines Placeboeffekts nicht gleichwertig ersetzbar ist, wäre mein Verhältnis dazu noch gespalten. Ich ziehe nämlich egalitäre Beziehungen entschieden vor.

    @Christian Hoppe:
    War es nicht etwas ähnliches, was Sie meinten?

  13. @Lars Fischer: Oh!

    Das tut mir leid zu hören. Hatte für Sie gehofft, es wäre noch mal gut gegangen.

    Daran sieht man: Wenn es nicht gelingt, einen zerstörerischen Prozess rechtzeitig zu stoppen und den (Selbst)Heilungsprozess einzuleiten, nützt auch die beste evidenzbasierte Medizin nichts.

    @Jürgen Bolt: Habe auch zu danken 🙂

  14. Kostenreduktion

    Es wäre doch Quatsch, eine neue Placebotheraphie zu konstruieren, wenn mit der Homöopathie eine eingeführte Methode mit hoher Akzeptanz bereits vorhanden ist. Die Krankenkassen müssten nur die Souveränität besitzen, die entsprechenden Medikamenten direkt aus dem Leitungswasser zu erzeugen. Vielleicht könnte man, um den Schein zu wahren, auch ein paar nützliche Spurenelement da drin platzieren.

  15. Danke für die warmen Worte. 🙂 Wenn die Esoteriker es schaffen, eine homöopathische Dialysemaschine zu bauen, dann nehm ich sie auch ernst.

  16. Lars Fischer schreibt:
    » Wenn Ärzte solche Tricks einsetzen um Placebo-Effekte therapeutisch zu nutzen, muss ihnen sehr klar sein, was sie da tun. «

    Genau das scheint mir entscheidend zu sein. Ich vermute, dass in Altenheimen derartige Placebo-“Therapien” relativ häufig sind (bekannt ist mir ein Fall unter ca. 30 Bewohnern, also bei rund 3% ;-). Die rote Pille hilft, wenn die Bewohnerin sich nicht so gut fühlt, und die blaue hilft beim Einschlafen. Da die Betreuung informiert ist, ist das auch rechtlich wohl in Ordnung. Somit ist allen Beteiligten gedient.

    Ähnlich sehe ich die Problematik bei den homöopathischen Mitteln. Deren Herstellung und Verkauf halte ich für legitim, aber der Einsatz solcher wirkstofffreien Mittel kann naturgemäß nur eng begrenzt sein und darf auch nicht durch Kurpfuscher oder Scharlatane erfolgen.

    Langer (selbstverliebter) Rede kurzer Sinn: Im Rahmen einer individualisierten, verantwortungsvollen Medizin können auch Homöopathika ihren Platz haben. Es wird immer Menschen geben, die an die Wirksamkeit solcher Mittel glauben, egal wie aufgeklärt eine Gesellschaft ansonsten auch sein mag.

  17. @ Hoppe: Themenüberschneidung

    Mein Beitrag zum selben Thema war das Resultat einer längeren Zugfahrt und der Tatsache, dass die Nederlandse Spoorwegen kostenloses WLAN anbieten (daran kann sich die DB mal ein Beispiel nehmen).

    Ich würde die Kirsch et. al Studie übrigens einfach so lesen, dass der gemessene Unterschied zwischen Placebos und Antidepressiva allein bei schweren Depressionen ein standardisiertes Maß für klinische Signifikanz erreichte und zwar aufgrund des kleineren Placeboeffekts.

    Zur hier besprochenen Thematik der Placebovergabe gab es unlängst einen Briefwechsel in Trends in Pharmacological Sciences: Edzard Ernst, “Homeopathy, a ‘‘helpful placebo’’ or an unethical intervention?”, TIPS 31(1); und Reply in TIPS 31(7): 297f.

  18. Briefwechsel in TIPS /@Stephan Schleim

    Edzard Ernst kommt zu dem Schluss, dass die Verabreichung von Homöopathika im Sinne einer Placebo-Therapie unethisch sei, die Homöopathin Paula Ross bestreitet dies, weil Homöopathika sehr wohl wirksam seien (ein energetischer Wirkmechanismus wird vermutet). Bei diesem Briefwechsel ist also nur Ernsts Letter ernst zu nehmen.

    Für sein stärkstes Argument hält Ernst, dass ein Arzt bei entsprechender Zuwendung und Empathie zusätzlich zum spezifischen Effekt der Verum-Behandlung noch einen Placeboeffekt erzielen könne.

    Da bin ich mir nun im Zweifel, ob das für die einzelne Behandlung gelten soll oder ob hier ein statistischer Effekt wie in klinischen Studien gemeint ist (selbst wenn das Medikament nicht anschlagen sollte, bleibt immer noch der Placeboeffekt, so dass in der Summe eine größere Anzahl von Patienten von der Behandlung profitiert).

    Wie auch immer, ich halte es ohnehin für ethisch unbedenklich, wenn ein Arzt, nachdem die evidenzbasierte Medizin ohne Erfolg geblieben ist und keine lebensbedrohende Situation besteht, bei bestimmten Patienten zu seiner “Geheimwaffe” greift und Globuli offeriert, mit dem Hinweis, dass vielen damit geholfen werden konnte. Denn das wäre keineswegs gelogen.

  19. Placebowirkung

    Als komplementär zu anderen Methoden / Medikamenten der Depressionsbehandlung (und auch bei weiteren Erkrankungen) halte ich den Ansatz, eben jenen immer wieder nachweisbaren Placebo-Effekt zu nutzen, für ethisch absolut erforderlich. Es macht aus meiner Sicht keinen Sinn oder ist nahezu fahrlässig, einen relevanten Faktor (in diesem Fall o.g. Effekt)zur Genesung bzw. Linderung von Beschwerden zu ignorieren, ihn zu bekämpfen etc. – ihn also nicht redlich für die Betroffenen nutzbar zu machen.
    Mein Fazit:
    Wissenschaft und Heilkunde!
    AE

  20. Warum nur Homöophatika?

    Warum schreiben hier alle nur von Homöopathika, wenn es doch eigentlich um den Placeboeffekt geht?
    Der Placeboeffekt lässt sich doch noch auf viele andere Arten triggern. Z.B. dadurch, dass sich der Arzt endlich mal wieder Zeit für den Patienten nimmt und ihm auch länger zuhört. Oder dadurch, dass Medikamente so optisch designt werden, dass sie den Placeboeffekt mitnehmen.

    Dies sind Dinge, die man auch in der wirksamen Medizin unterbringen kann. Damit der Arzt sich aber die Zeit für den Patienten nehmen kann, ist es notwendig, dass ihm diese Zeit auch (in vernünftiger Länge) vergütet wird. Dazu braucht es aber keine Scharlatane, sondern einen aktiven Gesetzgeber.

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